Oooookay. Zuallererst: ich behaupte nicht dass das Zeug schlecht sei oder nicht funktioniert, und ich stelle auch nicht in Frage dass es in gewissen Bereichen herkömmlichem Kühlwasser überlegen ist bzw sein könnte. Meine Meinung dazu ist aber: es ist eine vollkommen überflüssige Ausgabe, ungefähr so als würde man sich für den täglichen Spaziergang um den Block teure Haix-Wanderstiefel kaufen - die Turnschuhe von Deichmann funktionieren genau so gut.
Vorweggenommen auch noch: ich beziehe mich zum Vergleich immer auf ein ordentlich gewartetes Kühlsystem in dem alle 2 Jahre die Flüssigkeit getauscht wird und kalkarmes, normales Wasser und gute Kühlflüssigkeit im korrekten Verhältnis genutzt wird.
Woher kommt meine bescheidene Klugscheißermeinung? Der Reihe nach:
Das Patent
Die erste Hälfte(!) des Patenttextes (vielen Dank für den Link übrigens, erspart viel Quellensuche) dreht sich nur darum wie schlecht das herkömmliche Kühlmittel ist und was das neue Mittel außerhalb des Motors besser macht. Kritikpunkte sind:
- umweltschädlich bei Leckagen
- KANN motorschädigend wirken wenn es nicht gewechselt wird, irgendwelche Additive reingekippt oder das Mischungsverhältnis missachtet wird oder oder oder
- Kühlerfrostschutz ist nicht so gut lagerbar
- das neue Zeug sei besser zu recyceln bzw ist umweltfreundlicher weil es nicht getauscht werden muss
So. In der Werbung weiß man ganz genau: mit dem Finger zu zeigen und zu sagen "die anderen sind schlechter als wir!" ist ein ganz, ganz schwacher Schachzug. Das machen die Patent-Einreicher hier, schon mal grundsätzlich unsymphatisch. Außerdem beziehen sich die genannten Nachteile auf ein defektes Kühlsystem oder Faktoren völlig außerhalb des Motors, die uns als individuelle Autobesitzer aber überhaupt nicht interessieren (aus technischer Sicht).
Weiter unten sind dann Versuche mit dem neuen Kühlmittel erläutert, aber KEIN Versuchsergebnis dazugeschrieben. Warum?
Okay, Vergleichszeit:
Das neue Mittel ist Propylenglykol. Was ist das? Das ist eine Form von Alkohol. Was haben wir im normalen Kühlmittel als Frostschutz und Siedepunkterhöher? Ethylenglykol. Das ist ebenfalls Alkohol. Wo ist der Unterschied? Manch einer erinnert sich vielleicht noch an die Kohlenstoffverbindungsreihenfolge Methan Ethan Propan Butan Pentan Hexan Heptan Oktan undsoweiter - das bezeichnet die Länge der Ketten. Wenn man das jetzt auf unsere Mittel überträgt erkennt man: Ethylenglykol steht an Stelle 2, Propylenglykol an Stelle 3. Als Formel ausgedrückt: C2H6O2 und C3H8O2.
Was sagt das? Propylenglykol, das neue Mittel (ab sofort kurz: PG) ist langkettiger. Ein langkettiges Molekül ist prinzipiell erstmal schwerer zu "knacken", d.h. es ist viel reaktionsträger und einfach faul. Faul? Ja, es friert erst bei tieferen Temperaturen und siedet erst bei höheren Temperaturen als ein vergleichbares kurzkettigeres Molekül. Kleine Anekdote: darum ist Superplus auch klopffester als Normalbenzin: es besteht aus längerkettigen Kohlenwasserstoffen, die zünden erst bei höheren Drücken/Temperaturen selbstständig, der Motor "klingelt" also später.
Kurze Zusammenfassung, was das neue Zeug ist: einfach Alkohol, ein etwas anderer Alkohol als der, den wir eh schon reinkippen.
Was wir warum nutzen
Wir kippen in unsere Autos eine Mischung aus 50% Wasser und 50% Alkohol, grob gesagt. Warum? Wasser kostet praktisch nix und hat eine grandiose Wärmekapazität, d.h. es kann pro kg Wasser sehr viel Energie aufnehmen, die dann woanders hintransportieren und dort wieder abgeben. Ethylenglykol, unser klassischer Alkohol, hat erheblich weniger. Heißt konkret (Beispiel): um ein heißes Bauteil von 250°C auf 90°C zu kühlen bräuchte man grob 2 Liter reinen Alkohol in 10 Sekunden, aber nur 1 Liter Wasser in 10 Sekunden. Darum kippt man morgens nach dem Feiern auch Wasser rein um den Brand zu löschen, geht besser
Aber jedem sollte klar sein warum wir kein reines Wasser nehmen (was im Sommer eigentlich klasse wäre): es ist korrosiv (lässt Metalle rosten), es kocht unter Normaldruck bei 100°C, es friert ein bei 0°C.
Also: wir nehmen die klassische Mischung weil sie ausgewogen ist: sie friert nicht, sie kocht erst bei 108°C unter Normaldruck, und im Frostschutzmittel sind (wie im Motoröl) verschiedene Additive, die weitere Nachteile eliminieren: Zeug, um Kalkablagerungen zu verhindern/zu binden, Zeug, um Säurebildung zu verhindern, Zeug, um Schaumbildung zu verhindern, Zeug, damit es schön bunt ist, Zeug, damit die Jugend sich das nicht hinter die Binde kippt (Bitterstoffe).
Wie bei Motoröl auch: diese Additive sind mit der Zeit "verbraucht", darum muss man regelmäßig das Wasser wechseln - brauche ich euch ja nicht zu sagen, manch einer wechselt hier sein Motoröl ja öfter als die Unterwäsche.
Propylenglykol
das neue Wundermittel ist nicht wirklich neu - es wird als Kühlmittel in Solaranlagen und Lebensmittelindustrie verwendet, weil es weniger umweltschädlich ist als Ethylenglykol. Aber auch dort wird es nicht rein verwendet, sondern immer verdünnt, weil sonst "die spezifische Wärmekapazität zu gering [wird]" (Quelle:
http://www.321-sun.de/solarthermie/s...rfluessigkeit/).
Evans Kühlmittel
Die Konzentration von Propylenglykol im "Wundermittel" beträgt 84,5%- >99%, ist also ziemlich hoch. Quelle: Patent
"Die bevorzugte Ausführungsform der Kühlmittelformulierung ist die folgende:
Gew.% (1) 1,2-Propandiol, allgemein bekannt als Propylenglykol (PG) 84,50-99,85 "
Die restlichen Inhaltsstoffe sind - wie auch im gängigen Frostschutz - überwiegend Korrosionsschutzstoffe.
Außerdem geht aus dem Patent deutlich hervor, dass das Kühlsystem <0,5% Wasser enthalten darf, weil sonst die Wirkung total den Bach runtergeht. Konkret heißt das: man muss sein Kühlsystem, wenn man es auf Evans' Mittelchen umstellt, MINDESTENS einmal komplett mit reinem Evans-Mittel spülen - jagt also 100€ mal eben zum Teufel, nur um sein System Wasserfrei zu bekommen.
je mehr ich recherchiere desto größer wird meine Abneigung:
Meckern gegen die einzelnen Punkte
Nein, tatsächlich ist es
andersrum
Alkohole haben eine geringere spezifische Wärmekapazität als Wasser. Darum kippen wir keinen reinen Alkohol in unser Auto, was ich weiter oben auch schon geschrieben habe. Perfekt wäre eigentlich klares Wasser, was aber aus ebenfalls genannten Gründen nicht geht. googlen hat ergeben: nirgendwo wird auch nur ein Sterbenswörtchen über die Wärmekapazität von Evans' Kühlmittel fallengelassen, und wenn es auch nur ein % besser wäre als Wasser wäre es garantiert als Werbepunkt aufgeführt worden, oder etwa nicht? Der Grund liegt auf der Hand: es ist schlechter.
Klares Wasser hat 4,2 kJ/kg*K, unser Frostschutzgemisch hat ca. 3,5 kJ/kg*k, Evans hat "mächtige" 2,5 kJ/kg*K. Wie komme ich darauf?
Quelle:
http://www.glykolundsole.de/Download...L_2007_deu.pdf
Das ist das Datenblatt zu einem Propylenglykolkühlmittel.
Für die, die mit Physik nicht so bewandert sind: konkret bedeutet das, dass ich 20% mehr Volumenstrom benötige um die gleiche Kühlleistung zu erzielen. Also: um Hitze x aus dem Zylinderkopf zu bekommen müsste ich 1,2 statt 1 Liter pro Sekunde da durchpumpen - und wie soll das gehen? Gar nicht, weil wir unsere Wasserpumpen leider nicht chiptunen können.
Das ist umso dramatischer, da wir in unserem Kühlsystem nur 7 Liter Flüssigkeit haben. Einen Solarpark oder ortsfeste Maschinen kann man theoretisch mit reinem Evans-Zeug betreiben, weil man das Kühlmittelvolumen und die Pumpleistung einfach erhöhen könnte. Macht man aber nicht, weil es schwachsinnig ist sich ne größere Pumpe einzubauen die mehr kostet und mehr Energie braucht, nur um ein schlechteres Wärmetransportmedium nutzen zu können.
Eigentlich könnte ich an dieser Stelle schon aufhören, denn jeder, der seinen Motor mag, füllt dieses Zeug NICHT ein. Wenn etwas den Kopf heißer werden lässt, dann ist es die reine Verwendung von Evans' Zeug.
Aber ich hab versprochen mich zu allen Punkten zu äußern, also mache ich weiter:
kein Druck
Der Siedepunkt von Kühlmittelgemisch liegt bei 108°C unter Normaldruck und bei ca. 115-120°C bei Betriebsdruck im Auto. Kann man ausrechnen, habe ich jetzt keinen Bock zu. Fakt ist aber: das Kühlsystem ist extra darauf ausgelegt bei Betriebstemperatur einen gewissen Überdruck zu haben, eben um diesen völlig ausreichenden Siedepunkt zu erreichen. Da jetzt ein Mittel reinzufüllen welches keinen nennenswerten Druck aufbaut (was schon mal gar nicht geht, man hat IMMER Wärmeausdehnung, sie ist bei Evans aber nicht so hoch wie bei Wasser) ist völliger Schwachsinn, weil man die kalkulierte Dimensionierung nicht ausnutzt. Und eine Überdimensionierung ist - betriebswirtschaftlich gesehen - schwachsinn. Wir haben druckfeste Schläuche und Verbindungen, also warum sollte man die nicht nutzen? Ersetzt ihr eure Kühlerschläuche jetzt durch weniger dicke? Ganz bestimmt nicht. Und ein intakter Kühlerschlauch platzt nicht mal eben so, das Druckargument ist also ein Pseudo-Pluspunkt. Völlig irrelevant.
keine Ablagerungen/Korrosion
die hat man auch nicht, wenn man brav sein Kühlmittel alle zwei Jahre wechselt. Pseudoargument, völlig hinfällig wenn man sein Auto sachgerecht pflegt.
kein Ãœberhitzen
das scheinbar wichtigste Argument. Lokale Dampfblasenbildung hat man bei beiden Mitteln: klassisch bei 120°C, mit Evans bei 180°C. Dass aber KEINE Dampfblasen mehr gebildet werden ist ein Trugschluss, denn lokale Hitzequellen sind noch beträchtlich höher als 180°C. Und hier kommt auch wieder die Wärmekapazität zum Tragen: klassisches Mittel kann viel mehr Wärme abführen, also sind Hotspots lokal deutlich kleiner bzw entstehen gar nicht erst. Wenn ich den kompletten Zylinder außen effizient umspüle und Wärme wegnehme entsteht keine lokale Überhitzung, weil die Temperatur durch das Metall schon vom Hotspot weggeleitet wird. Mit Evans entsteht ein Hotspot eher, weil das komplette Bauteil heißer wird da weniger Energie pro Sekunde abgeführt wird. Am Hotspot entstehen weniger Dampfblasen als am gleichen Hotspot mit Wasser entstehen würde- ABER das ist ein selbstgemachtes Problem, denn dieser Hotspot würde mit Wasser gar nicht erst entstehen!
Damit ist dieses Argument also mal SOWAS von vom Tisch.
mehr Leistung
ein überhitztes Kühlsystem entsteht nicht durch die Verwendung von diesem oder jenem Kühlmittel, sondern durch falsche Dimensionierung oder kaputte Teile. Einem insgesamt überhitzten Kühlsystem durch die Beigabe von weniger leistungsfähigem Kühlmittel beizukommen ist ungefähr so wie ein Pflaster auf nen offenen Bruch zu kleben und dann viel rumzulaufen, weil Durchblutung ja für schnellere Heilung sorgt....
keine Erosion
Lokale Blasen, wie bei dem Punkt genannt, entstehen relativ unabhängig von der Temperatur, das hängt mit dem lokalen Druck zusammen. Wenn der Druck in einer Flüssigkeit (zB nach einer Düse) stark abnimmt, dann bilden sich Blasen. Der Effekt nennt sich Kavitation. Der Punkt stimmt grundsätzlich, ist aber praktisch zu vernachlässigen. Oder hat einer von euch schon mal einen vom Wasser rein mechanisch kaputtgemachten Motor gesehen? Ich nicht. Ich hab vor kurzem erst meinen Motor offen gehabt, und der hat 300.000 km aufm Buckel. Das kann zum Problem werden wenn man fünf Millionen Kilometer damit fährt, vielleicht. Darüberhinaus kommt dazu: Kavitation ist abhängig vom Druckgefälle, also das Verhältnis von Druck in der Verengung zu Druck danach. Auch hier "verkackt" Evans Kühlmittel, denn reines PG hat eine höhere Viskosität als Wasser/Ethanol-Gemisch. Viskosität = dickflüssigkeit. Man kennt das vom Öl: kaltes Öl ist zäh wie Honig, hochviskos. Der Öldruck ist bei kaltem Motor auf Anschlag. Wird das Öl wärmer wird es flüssiger, ist bei Betriebstemperatur ziemlich wässrig - die Viskosität ist geringer, der Öldruck sinkt ab.
Wie sich die Viskosität von PG verhält sieht man in anschaulichen Grafiken in der weiter oben schon genannten Quelle (s.7)
So. Diskussion frei. Wer sich das jetzt noch reinkippen will kann es gern machen, schließlich sind hier alle 18 oder älter, ich denke mal ich hab meinen Standpunkt ausreichend untermauert. Verständnisfragen oder Gegenargumente sind gerne gesehen.
/Dass man sich bei der Verwendung aus der Garantie rauskatapultiert weil das Mittel nicht von Ford freigegeben ist kommt noch dazu.
Lesezeichen